Impfen gegen Krebs?
Neue Klasse von Impfstoffen entwickelt
Eine Impfung als Tumortherapie – mit einem Impfstoff, der aus einer Gewebeprobe des Patienten individuell erstellt wurde und das körpereigene Immunsystem auf die Krebszellen „ansetzt“: Die Basis für diese langfristige Vision konnte ein Forscherteam des MPI für Polymerforschung und der Universitätsmedizin Mainz, insbesondere der Fachbereiche Immunologie und Hautklinik, nun legen. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich im Journal ACS Nano veröffentlicht.
„Wir haben eine neue Klasse von Impfstoffen implementiert, die eine effiziente Alternative zu den mRNA-Impfstoffen bilden könnte“, sagt Prof. Dr. Lutz Nuhn, bisher Gruppenleiter im Arbeitskreis von Tanja Weil am MPI für Polymerforschung und seit kurzem nun auch Professor für Makromolekulare Chemie an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg. Wichtig ist dies unter anderem für Menschen, bei denen die Erzeugung von Proteinen bei Impfung mit mRNA-Vaccinen – also solchen wie sie teilweise gegen Corona in den Einsatz kommen - gestört ist und bei denen diese Impfungen daher nur bedingt wirken.
Der Hauptgrund jedoch: Sollen Impfungen gegen Krebs eines Tages an der Regel sein, müssen verschiedene wirksame Strategien erforscht werden, um spezifische Immunzellen mit wesentlichen Schlüsselinformationen zu versorgen.
Antigen plus Immunaktivator – gekoppelt an Nanoteilchen
Die neuartige Impfstoffklasse besteht aus zwei Komponenten: Zum einen aus dem Antigen, das spezifisch für die Tumorzelle ist und vom Immunsystem quasi als „Feind“ erkannt werden soll, zum anderen aus dem Immunaktivator – einem „Scharfmacher“, der das Immunsystem wachrüttelt.
Als Immunaktivator nutzen die Forscherinnen und Forscher das Derivat eines chemischen Moleküls, das von Sunil A. David in den USA entdeckt wurde und im indischen Coronaimpfstoff Covaxin bereits erfolgreich eingesetzt wird. Für sich genommen ist dieses Molekül zu aktiv und potent und würde heftige Entzündungsreaktionen im ganzen Körper hervorrufen. Aus diesem Grund bindet das Forscherteam es an einen Träger an – genauer gesagt an Polymer-basierte Nanoteilchen, die eine gelartige Konsistenz haben, biologisch abbaubar sind und die Wirkung des Immunaktivators lokal begrenzen. Diese nanoskaligen Materialien mit Durchmessern unter 100 Nanometer haben etwa die Größe von Viren – die Zellen des Immunsystems erkennen sie daher sehr gut, fressen sie und erwachen auf diese Weise aus ihrem Schlummermodus. Die Nanopartikel eröffnen also einen direkten Weg in das Immunsystem. Und: „Über die Anbindung an Nanopolymere konnten wir die Immunreaktion auf das gewünschte Maß drosseln“, erläutert Nuhn.
Impfstoff tötet gezielt Tumorzellen ab
Damit die Impfung zielgerichtet den Tumor angreift, muss man wissen: Was unterscheidet das Tumorgewebe von gesundem Gewebe – welche speziellen Antigene befinden sich also am Krebsgeschwür? Dies kann durchaus patientenspezifisch sein. „Wird ein Tumor im Anfangsstadium diagnostiziert, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, um die patientenindividuelle Impfung möglichst schnell herzustellen“, erklärt Nuhn.
Für die Entwicklung der neuen Impfstoffklassen nutzen die Forschenden zunächst ein Modellantigen: Sie haben verschiedene Tumore generiert, die dieses Modellantigen tragen – entweder auf der Oberfläche oder im Inneren. Erste Studien sind vielversprechend: Die T-Zellen, die durch den Impfstoff aktiviert werden, töten nur Tumorzellen ab, die das Antigen auf ihrer Oberfläche oder sogar im Inneren tragen. Gesundes Gewebe dagegen wird nicht beeinflusst. „Der Polymer-basierte Nanoträger ist ein hilfreicher Werkzeugkasten, um antigenspezifische Impfungen weiter zu bewerten und weitere impfstoffbasierte therapeutische Konzepte gegen Krebs zu entwickeln“, ist Nuhn überzeugt. Eines muss jedoch gesagt sein: Bis solche Impfstoffe Patienten von einem Tumor befreien können, sind noch etliche Jahre weitere Forschung vonnöten. Auch werden sich nicht alle Krebsarten durch eine Impfung bekämpfen lassen.