Alles fließt: Quanten-Plumbing
Forschungsbericht (importiert) 2023 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Was hat eine Whisky-Destillerie mit der Entsalzung von Meerwasser zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel - so scheint es zumindest. Betrachtet man jedoch die physikalischen und chemischen Prozesse in beiden Verfahren genauer, so zeigen sich bald Gemeinsamkeiten: In beiden Fällen müssen Moleküle voneinander getrennt werden. Whisky wird "destilliert": Dabei erhöht sich der Alkoholgehalt durch Entziehen von Wasser. Auf ähnliche Weise werden bei der Entsalzung von Meerwasser Wasser und Salz getrennt.
Es gibt viele industrielle Prozesse, die bei denen die molekulare Trennung eine wichtige Rolle spielt. Die Raffination von Rohöl könnte bald der Vergangenheit angehören, aber die Extraktion verschiedener Metallionen aus Meerwasser oder die Entfernung von Wasser aus Biokraftstoffen sind nur einige Beispiele für Trennverfahren, die in Zukunft immer wichtiger werden.
Energieeffizient?
Chemische Stoffe voneinander zu trennen, erfordert Energie. All diese Trennverfahren in ihrer Gesamtheit betrachtet, macht dies einen beträchtlichen Anteil von 10 bis 15 Prozent des weltweiten Energiebedarfs aus. Es besteht daher ein dringender Bedarf, energieeffizientere Trennverfahren zu entwickeln.
Aus der Physik weiß man, dass für die Trennung von zwei miteinander vermischten Stoffen ein Mindestmaß an Energie erforderlich ist. Die meisten Trennverfahren verbrauchen jedoch weit mehr als dieses Minimum. Bei der Destillation etwa geht der größte Teil der Energie in Form von Abwärme verloren, während bei Filtrationsprozessen Energie durch Reibung an den Filterporen verbraucht wird.
In einem Gedankenexperiment aus dem 19. Jahrhundert jedoch konzipierte James Clerk Maxwell eine Trennung ohne Energieverlust. Der Physiker stellte sich 1867 ein System mit zwei durch eine mikroskopische Tür getrennte Kammern vor. Ein mikroskopisch kleines Wesen öffnet diese Tür für Moleküle des Typs A, aber nicht für Moleküle des Typs B und trennt so die Stoffe A und B. Dieses Wesen ist heute als Maxwellscher Dämon bekannt. Auch wenn man sich diesen Dämon sicherlich vorstellen kann, bleibt die Frage, ob - und wenn ja wie - sich dieses Konzept in die Praxis umsetzten lässt. In meiner Arbeitsgruppe versuchen wir, Funktionen ähnlich dem Maxwell-Dämonen zu erreichen, indem wir Quanteneffekte in Flüssigkeiten im Nanometerbereich ausnutzen.
Ein anti-biomimetischer Ansatz
Manche biologische Systeme sind einem realen Maxwell-Dämon schon sehr nahe gekommen. Die Natrium-Kalium-Pumpe zum Beispiel ist ein auf Proteinen basierender Kanal, die sich unter anderem in den Membranen unserer Gehirnzellen befindet. Die Pumpe ist in der Lage, die sehr ähnlichen Natrium- und Kaliumionen zu unterscheiden, wobei sie erstere aus der Zelle heraus und letztere in die Zelle hineinschickt.
Es ist verlockend zu versuchen, die Funktionsweise dieser biologischen Maschinen künstlich nachzuahmen. Dazu muss man die Struktur der künstlichen Kanäle - das "Klempnerhandwerk" - auf der Sub-Nanometer-Skala der Wassermoleküle modifizieren. Ein solches Unterfangen ist aber nahezu unmöglich. Wir nutzen das Verhalten der Elektronen in den Porenwänden, um biologisch ähnliche Funktionen zu erreichen, allerdings mit völlig anderen physikalischen Prinzipien.
Wasser-"Superflow" in Kohlenstoff-Nanoröhren
Die Idee des „Quantenklempnerwesens“ entstand, als wir untersuchten, wie Wasser in Kohlenstoff-Nanoröhren fließt. Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind ein Arbeitspferd für die Nanofluidik. Sie bestehen aus einer nur ein Atom dicken Kohlenstoffschicht, die zu einem Rohr aufgerollt ist. Im Jahr 2006 entdeckten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass Wasser durch diese Röhren tausendmal schneller fließt, als nach makroskopischen Gleichungen zu erwarten wäre. Die Gründe dafür waren rätselhaft und lagen eindeutig außerhalb der klassischen hydrodynamischen Theorien.
Molekulare Simulationen, die über die klassische hydrodynamische Theorie hinausgehen, zeigten, dass die Kohlenstoff-Nanoröhren im Inneren extrem glatt sind. Daher müsste das Wasser eigentlich sogar noch schneller durch sie hindurch fließen, als zu beobachten war! Das bedeutete, dass das Wasser einer Reibungskraft unbekannten Ursprungs ausgesetzt war, welche die Simulationen nicht erfassen. Wir fanden heraus, dass diese Reibungskraft einen Quantenursprung hat: Und so nannten wir sie "Quantenreibung". Die Quantenreibung ist darauf zurückzuführen, dass sich die Wassermoleküle und die Elektronen der Kohlenstoffnanoröhren gegenseitig anschieben und anziehen, und das verlangsamt die Strömung. Experimente an unserem Institut haben nun bestätigt, dass ein solches Schieben und Ziehen tatsächlich an der Grenzfläche zwischen Wasser und einer Monolage aus Kohlenstoffatomen - Graphen - auftritt.
Die Macht der Elektronen
Dank der Quantenreibung können wir nun Flüssigkeitsströme im Nanomaßstab steuern, indem wir auf die Elektronen in den Kanalwänden einwirken. Diese Elektronen lassen sich auch als Sensor für die Strömung innerhalb des Kanals verwenden. Denn wir haben auch entdeckt, dass eine Flüssigkeit in der festen Wand, an der sie entlangfließt, einen elektrischen Strom induzieren kann. Das wiederum stellt einen potenziellen Weg zur hydroelektrischen Energieumwandlung in sehr kleinem Maßstab dar. Unter bestimmten Bedingungen gibt es auch einen Rückkopplungseffekt, bei dem die Quantenreibung den Flüssigkeitsstrom sogar beschleunigt, anstatt ihn zu verlangsamen.
Derzeit erforschen wir die Quantenreibung als Funktionsprinzip für nanofluidische Maxwell-Dämonen. Es stellte sich heraus, dass verschiedene Moleküle auf unterschiedliche Weise auf die Elektronen drücken. Dieser Effekte könnte sich für eine energieeffizientere Trennungsmethode nutzen lassen. Spannende Zeiten liegen vor uns!