Saubere Oberflächen müssen nicht glatt sein
Forschungsbericht (importiert) 2018 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Jeder ist schon einmal im Regen mit dem Auto gefahren. Beobachten Sie das nächste Mal doch einmal genauer, wie sich Tropfen auf der Windschutzscheibe bei verschiedenen Geschwindigkeiten verhalten. Ab einer bestimmten Fahrgeschwindigkeit lösen sich manche von ihnen und rutschen an der Scheibe entlang, andere jedoch verharren an Ort und Stelle. Dies lässt die Frage aufkommen, welche Kräfte genau notwendig sind, um Tropfen rutschen zu lassen. Wie kann man es schaffen, dass Tropfen gar nicht haften? Solche Oberflächen wären technologisch von hoher Relevanz: Auf Scheibenwischer könnte verzichtet werden. Nie wieder Tropfen auf Brillengläsern, toxische oder extrem teure Flüssigkeiten könnten rückstandslos aus Behältern geleert werden. An Windrädern ließe sich die Eisbildung im Winter verhindern. In unserer Forschung beschäftigen wir uns daher mit der genauen mikroskopischen Untersuchung sowie der Herstellung wasserabweisender – das heißt superhydrophober – Oberflächen.
Rau ist besser als glatt
Intuitiv würde man erwarten, dass wasserabweisende Oberflächen glatt sein müssen. Glatte Oberflächen würden keine Lücken bieten, an denen Wasser haften kann. Die Natur lehrt uns jedoch, dass dies nicht so ist: Die Blätter der Lotuspflanze oder die der Kapuzinerkresse zum Beispiel sorgen dafür, dass sich Tropfen auf ihrer Oberfläche zu Kugeln formen und Wasser somit abperlt. In mikroskopischen Aufnahmen zeigt sich, dass solche Oberflächen eine Rauigkeit aufweisen, die sich in einem Längenbereich abspielt, der tausendmal kleiner ist als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Diese Rauigkeit sorgt dafür, dass sich unter dem Tropfen an vielen Stellen noch eine Luftschicht hält. Die mikroskopischen Vorsprünge auf den Oberflächen halten den Tropfen davon ab, das gesamte Substrat zu benetzen. Der Tropfen sitzt auf den Spitzen der Vorsprünge, ähnlich wie ein Fakir auf einem Nadelkissen. Hierdurch haftet der Tropfen viel weniger an der Oberfläche, sondern bildet eine Kugel, die nur eine ganz kleine Kontaktfläche mit der festen Oberfläche besitzt. So lässt sich der Tropfen fast reibungsfrei bewegen.
Tropfen auf Oberflächen
Um an Oberflächen zu messen, wie gut oder schlecht sie Wasser abweisen, kann man also die Reibung von Tropfen auf der Oberfläche als Kenngröße verwenden. Dies ist technologisch jedoch eine Herausforderung: Die sehr geringe Kraft, die man zum Verschieben eines Tropfens benötigt, muss mit hoher Präzision gemessen werden. Hierfür haben wir in unserem Arbeitskreis ein Gerät entwickelt.
In dem Gerät wird eine dünne, sehr lange Nadel in einen Tropfen getaucht. Mit dieser Nadel lässt sich der Tropfen über die zu überprüfende Oberfläche ziehen. Hierbei verbiegt sich die Nadel. Je größer die Verbiegung ist, desto größer ist auch die Kraft, die zum Bewegen des Tropfens erforderlich ist. Oder anders formuliert: Je weniger sich die Nadel verbiegt, desto leichter ist der Tropfen zu bewegen und desto wasserabweisender ist die Schicht. Um die minimale Verbiegung messen zu können, wird ein Laserstrahl auf die Nadel gerichtet, dessen Ablenkung sich in größerer Entfernung messen lässt. Die minimale Auslenkung der Nadel wird durch den Laser sozusagen verstärkt.
Mit diesem Gerät konnten wir beispielsweise messen, dass bei Entenfedern eine besonders geringe Kraft erforderlich ist, um Wassertropfen vom Gefieder abperlen zu lassen. Dies macht für die Ente Sinn, denn beim Abheben aus einem See würde Wasser, das am Gefieder haftet, nur das Startgewicht erhöhen. Die Ente müsste also mehr Energie aufwenden.
Auf dem Weg zu selbstreinigenden Oberflächen
Das leichte Abrollen auf künstlichen oder natürlichen, wasserabweisenden Oberflächen führt zu einer interessanten Anwendung: Staub oder andere Verunreinigungen, die nur schwach an der Oberfläche haften, werden durch Tropfen gebunden und lassen sich so einfach von der Oberfläche entfernen. Dies ist ein eleganter Weg, selbstreinigende Materialien oder Oberflächen zu erhalten. Leider geht dieser Effekt jedoch verloren, wenn fettige Substanzen die Mikrostrukturen der Oberfläche verschmieren.
In unserer Forschung haben wir einen Weg gefunden, auch solche fettigen Verunreinigungen zu entfernen. Hierfür stellen wir mikrostrukturierte Schichten aus Titandioxid her. Titandioxid ist unbedenklich und wird unter anderem in Sonnencremes oder Zahnpasta verwendet. Die interessante Eigenschaft von Titandioxid ist, dass daran haftende organische Substanzen wie Fette durch das UV-Licht bei Sonneneinstrahlung zerlegt werden. Die so entstehenden Bruchstücke können wieder durch Wasser von der Oberfläche gespült werden. Doch leider wird durch das UV-Licht auch die wasserabweisende Schicht angegriffen und auch schrittweise zerkleinert, so dass die Oberflächen nicht sehr lange haltbar sind. Wir haben nun Materialien und Oberflächen entwickelt, die UV-resistent sind. Damit bleibt der Selbstreinigungseffekt über Monate, vielleicht sogar Jahre, erhalten.
So könnte man mit unserer Methode in Zukunft Flächen beschichten, die nie wieder gereinigt werden müssen, solange sie in regelmäßigen Abständen beispielsweise Regen ausgesetzt werden. Denn wenn Tropfen auf Windschutzscheiben nicht haften, dann werden wir immer freie Sicht haben und wir werden nie wieder durch eine Waschanlage fahren müssen.
Literaturhinweise
DOI:10.1002/adma.201604637
Nature Physics 14, 191-196 (2018)
DOI: 10.1038/nphys4305