Dynamische Oberflächen mit steuerbaren Funktionsebenen
Forschungsbericht (importiert) 2009 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Reaktive Oberflächen können als Beschichtung konzipiert werden, bei der einzelne Moleküle durch einen spezifischen Reiz strukturell (reversibel oder irreversibel) verändert werden. Elektrische Felder, Druck- und Temperaturveränderungen, mechanische Kräfte, Licht, pH-Veränderungen oder biochemische Signale können als externe Stimuli verwendet werden. Die molekularen Veränderungen der Oberfläche geschehen im Nanobereich, können aber Veränderungen der Oberflächeneigenschaften im Makrobereich induzieren wie z.B. Benetzung, Biokompatibilität, Haftung etc. .
Die Funktionalität und letztendlich das Anwendungspotenzial solcher aktiven Oberflächen sind durch folgende Eigenschaften der Reaktion festgelegt: (i) der Grad der Veränderung der Oberflächeneigenschaften nach Ausübung eines Reizes, (ii) die Geschwindigkeit, mit der diese Veränderung stattfindet, und (iii) die Reversibilität des Vorgangs. Daher sollte eine ideale reaktionsfähige Oberfläche eine drastische Eigenschaftsänderung unmittelbar nach Ausübung des äußeren Reizes aufweisen. Eine Regulierung der Reaktion durch die Stärke des Stimulus oder durch eine reversible Oberflächenveränderung kann, abhängig von der Anwendung, ebenfalls vorteilhaft sein. Bei Anwendungen in biologischen oder medizinischen Bereichen würde es eine Oberfläche mit verschiedenen und unabhängigen Reaktionen auf unterschiedliche Stimuli erlauben, die Interaktion der Zelle mit der Oberfläche zu kontrollieren sowie dynamisch zu verändern und somit das Verhalten der Zelle zu untersuchen.
Photospaltbare Moleküle mit wellenlängen-selektiver Reaktion
Photospaltbare Schutzgruppen sind kleine organische Moleküle, welche an funktionelle Gruppen eines Biomoleküls angehängt werden können und durch Licht deren Bioaktivität auslösen. Die Präsenz der Schutzgruppe verursacht normalerweise eine Veränderung der ursprünglichen molekularen Struktur, Konformation oder Ladung, die eine drastische Veränderung der biologischen Funktion zur Folge hat. Nach Belichtung wird die photolabile Gruppe gespalten und die Bioaktivität wiederhergestellt (Abb. 1). Licht hat als äußerer Stimulus erhebliche Vorteile. Es ist jederzeit verfügbar und kann fokussiert werden, was eine präzise zeitliche und räumliche Definition des Aktivierungsvorganges ermöglicht. Die Lichtmenge kann präzise über die Strahlungszeit und -intensität gesteuert werden. Somit kann die Konzentration der aktiven Moleküle präzise eingestellt werden, was mit anderen externen Stimuli nicht einfach zu erreichen ist.
Bei der Verwendung photolabiler Schutzgruppen mit unterschiedlichen Sensitivitäten gegenüber Licht verschiedener Wellenlänge kann die Bioaktivität koexistierender Moleküle unabhängig voneinander ausgelöst werden. Die unabhängige Reaktion beruht auf den verschiedenen Photosensitivitäten der Chromophore bei ausgewählter Wellenlänge λ (die durch die Quantenausbeute der Photolyse und den Extinktionskoeffizienten der Chromophore bestimmt werden, Abb. 2). Diese Strategie ermöglicht eine individuelle und sehr gezielte Aktivierung verschiedenster Vorgänge an einer einzigen Stelle.
Geschützte Oberflächen mit photoabstimmbaren biofunktionellen Ebenen
Wird ein geschütztes Biomolekül an eine Oberfläche gebunden, so wird eine latente Oberflächenfunktionalität erzeugt, die durch spätere Belichtung aktiviert werden kann. Die belichtete Oberfläche besitzt aktive Gruppen, die z. B. komplementäre Zielmoleküle aus einer Lösung erkennen und diese spezifisch an ein festes Trägermaterial binden. Durch die Verwendung geeigneter geschützter Liganden auf der Oberfläche können Proteine, Oligonukleotide oder Zellen gezielt adressiert werden. Verwendet man z.B. geschützte zellbindende Peptide, die Proteine in der Zellmembran erkennen, kann auf Wunsch die Anbindung von Zellen auf jeder künstlichen Oberfläche kontrolliert ausgelöst werden (Abb. 3). Dies könnte wichtige Auswirkungen auf die regenerative Medizin haben, da es eine externe Kontrolle auf die Wechselwirkung der Zelle mit einem Zellträgermaterial (Implantat) ermöglicht.
Bei der Verwendung verschiedener wellenlängen-selektiver Schutzgruppen können vielfältige funktionelle Zustände auf der Oberfläche erzeugt werden, abhängig von der verwendeten Reihenfolge der Bestrahlung mit den entsprechenden Wellenlängen. Durch die Kombination mit ortsspezifischer Bestrahlung (entweder durch Verwenden von Masken oder durch das Schreiben mit fokussierten Lasern), können verschiedene Biomoleküle an spezifische Stellen des geschützten Trägermaterials mit lateraler Auflösung im Mikrometerbereich angebunden werden (Mikroarrays). Im Bereich der Zellbiologie oder Gewebezüchtung kann dieser Ansatz ausgenutzt werden, um Kaskaden von Stimuli auf der Oberfläche zu erzeugen, auf die die Zellen gezielt reagieren.
Ein- und Ausschalten der Oberflächenaktivität mit interkalierten Schutzgruppen
Die meisten Oberflächenmodifizierungen ermöglichen zwar die Aktivierung einer molekularen Spezies an Oberflächen, nicht aber die spätere Deaktivierung des angeregten Zustandes. Obwohl die photolytische Spaltung von Schutzgruppen nicht reversibel ist, ermöglicht die Kombination zweier wellenlängen-selektiver Gruppen das Abschalten der Oberflächenaktivität. Eine photolabile Schutzgruppe (Abb. 4), gebunden in der Mitte eines Linkers, kann in einem zweiten Belichtungsschritt gespalten und die Oberflächenaktivität ausgeschaltet werden. Die Dichte der reaktiven Funktionalitäten auf der Oberfläche, die aktiviert oder deaktiviert werden soll, kann durch Regulierung der Bestrahlungsdosis präzise gesteuert werden. Eine reversible Anlagerung von Biomolekülen oder Zellen an der Oberfläche wäre interessant für Non-Fouling-Beschichtungen oder Trägermaterialien für die Zellkultur. In einer anderen Anwendung können lösliche Moleküle von der Oberfläche abgelöst werden, an die sie durch die interkalierten Schutzgruppen angebunden waren.
Ausblick: von der 2D- zur 3D-Auflösung
Das Prinzip von λ-selektiven Oberflächen lässt sich auf 3-dimensionale Materialien übertragen, wenn man Chromophore mit einer λ-selektiven Empfindlichkeit für die Zwei-Photonen-Anregung verwendet. Statt durch UV-Licht wird die Zwei-Photonen-Anregung durch IR-Photonen (~700-1100 nm) erzeugt. Als nicht-lineare Eigenschaft benötigt die Zwei-Photonen-Anregung zur Entstehung hohe Bestrahlungsintensitäten und kann nur auf der Brenn(punkt)ebene erfolgen, die mit einem gezielt fokussierten Laser 1 μm3 klein sein kann. Der photolytische Spaltungsprozess lichtempfindlicher Schutzgruppen kann durch die Zwei-Photonen-Anregung innerhalb eines Materials stattfinden, was eine 3-dimensionale Auflösung des lichtinduzierten Prozesses ermöglicht. So können auch komplexe Vorgänge im Material oder sogar innerhalb des Körpers im vordefinierten mikrometrischen Umfang lichtinduziert werden.