Strukturierte weiche Materie in der Phononik
Forschungsbericht (importiert) 2017 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Im Jahr 1993, zwölf Jahre nach der Entdeckung der Photonik, war die Geburtsstunde der phononischen Materialien für die kontrollierte Ausbreitung von mechanischen/akustischen Wellen. Erste Experimente wurden realisiert. Bald danach folgte die experimentelle Umsetzung im Schall und im Hyperschallbereich. Anhand von künstlichen und natürlichen hierarchischen Strukturen, wird dieses neue Feld der Hochfrequenz-Phononen hervorgehoben. Das Ziel hierbei ist es, starke, taube, kühle und interaktive Materialien zu erzeugen.
Photonische Kristalle transmittieren nur Licht mit einer bestimmten Frequenz. Diese Eigenschaft erhalten diese speziellen Kristalle durch eine periodische Anordnung von Materialien mit unterschiedlichen Brechungsindizes. Durch Streuung und Interferenz von Wellen entsteht eine Bandlücke, das heißt Licht in einem bestimmten Frequenzbereich wird blockiert. Eine wichtige Bedingung hierfür ist ein hoher Kontrast im Brechungsindex zwischen den unterschiedlichen Materialien. Analog zu elektromagnetischen Wellen gibt es solche Bandlücken in bestimmten Materialien auch bei der Ausbreitung akustischer Wellen. So werden die sogenannten phononischen Kristalle zum akustischen Äquivalent der photonischen Kristalle.
Für die Ausbreitung akustischer Wellen sind Massendichte und Elastizität die bestimmenden Größen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Elastizität stark von der Frequenz der propagierenden Wellen abhängt. Materialien, die eine periodische Variation der Dichte beziehungsweise Elastizität aufweisen, erzeugen Bandlücken an sognannten Bragg-Frequenzen [1]. Es gibt einige wichtige Unterschiede zwischen akustischen und elektromagnetischen Wellen. Anders als elektromagnetische Wellen können sich Phononen, also einzelne akustische Wellenpakete, nicht im Vakuum ausbreiten. Außerdem kann eine elastische Welle in einem kristallinen Festkörper bis zu drei unabhängige Polarisierungen (zwei transversal und eine longitudinal) haben. Bei Licht gibt es nur zwei Polarisationsrichtungen. Akustische Wellen sind also eng mit dem Ausbreitungsmaterial verbunden. Das macht die Struktur der Materie für akustische Wellen so wichtig.
Hyperschallfrequenzen, die im Gigahertzbereich liegen, sind von besonderer Bedeutung, da ihre Wellenlängen vergleichbar sind mit jenen von sichtbarem Licht. Daher weisen phononische Materialien oft auch photonische Eigenschaften auf und umgekehrt. Solche Materialien öffnen neue Wege zu akusto-optischen Interaktionen [2]. Aufgrund der viel kleineren Längenskala müssen Entwicklung, Herstellung und Charakterisierungsverfahren dieser Strukturen neu entwickelt werden. Hierbei spielt der Bereich der weichen Materialien, wie wir sie am Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI-P) verwenden, eine zentrale Rolle. In den letzten zwölf Jahren haben die Forscher am MPI-P ein wichtiges Charakterisierungsverfahren entwickelt, und zwar anhand der inelastischen Streuung von Photonen an Phononen, auch Brillouin-Lichtstreuung genannt. Damit lässt sich die Dispersionsrelation messen. In der Dispersionsrelation ist die Frequenz von Phononen gegen deren Wellenzahl aufgestellt. Die beiden folgenden Beispiele illustrieren dies.
Das Merkmal phononischer Kristalle ist eine Bandlücke für bestimmte Frequenzen. Um dies zu zeigen, wurden Kristalle aus Polystyrol-Partikeln hergestellt. Die Phononen-Dispersionsrelation solcher Polystyrol-Kristalle führte zur ersten Entdeckung einer Phononen-Bragg-Bandlücke und eine weitere, neuartige Bandlücke (grün schraffierter Bereich in Abbildung 1) ist das Vorkommen von lokalisierten Teilchenoszillationen. Für diese Bandlücke ist nur die Teilchengröße, jedoch nicht deren Anordnung, wichtig [3], weshalb man von einer Hybridisierungslücke spricht. Diese hängt allerdings sowohl von der Partikelgeometrie und -größe als auch vom elastischen Modul ab. Für die Hybridisierungslücke ist keine periodische Anordnung der Partikel notwendig.
Bandlücken lassen sich gezielt einstellen. Als ein Beispiel wurden Materialien aus Kern-Schale-Partikeln hergestellt. Der Kern bestand aus Siliziumoxid mit einem Radius von 60 Nanometern. Darauf waren Polystyrol-Ketten mit einem Polymerisierungsgrad von N=130 bis N=980 gepfropft. Die experimentelle phononische Dispersion zeigt eine einzelne phononische Bandlücke, verursacht durch die Eigenschwingungen des SiO2-Kerns. Um Theorie und Experiment in Übereinstimmung zu bringen, geht man von anisotropen elastischen Verbindungen nahe der SiO2-PS-Schnittstelle aus. Dies ist ein Schritt hin zur Entwicklung von innovativen phononischen Materialien [4].
Spinnenseide, ein halbkristallines Biopolymer, hat eine höhere Zugfestigkeit als vergleichbare synthetische Polymere mit ähnlicher chemischer Zusammensetzung. Diese guten mechanischen Eigenschaften resultieren aus einem hierarchischen Aufbau aus teilweise kristallinen und orientierten Nanofibrillen. Misst man die Ausbreitung von Schallwellen senkrecht zur Faserrichtung, erhält man eine kontinuierliche Phononendispersion. Entlang der Faserachse zeigt sich jedoch eine Bandlücke (Abbildung 2), genau wie in einem phononischen Kristall. Im Frequenzbereich von 12,2 bis 17,5 Gigahertz können sich Phononen nicht entlang der Faserachse ausbreiten. Noch überraschender ist die negative Dispersion (abfallende Kurve) bei Frequenzen von 11 bis 12,2 Gigahertz und Wellenzahlen oberhalb von 0,017 bis 1 Nanometer. Die Phononendispersion lässt sich mithilfe eines Modells interpretieren [5]: Nanofibrillen sind in ein homogenes Medium eingebettet und bilden einen mechanischen Wellenleiter. Die Grenzfrequenz von 17,5 Gigahertz ist abhängig vom mittleren Durchmesser der Fasern (etwa 120 Nanometer) und dem Schubmodul der Matrix (rund drei Gigapascal). Die Dispersion des Niedrigfrequenzbereichs wird bestimmt von der Vorspannung, der mechanischen Anisotropie und der Nichtlinearität der nichtlokalen Spannung. Berücksichtigt man alle drei Effekte in dem Modell einer anharmonischen Kette, kann man die gemessene Dispersionsrelation reproduzieren. Verstreckt man die Fasern, werden Wasserstoffbrückenbindungen gebrochen. Als Ergebnis folgt daraus eine kleinere Bandlücke (Abbildung 2).
Aktuell gibt es keine einfachen verlässlichen Modelle zur Vorhersage der Phononenausbreitung. Aufgrund der großen Anzahl von Materialparametern und deren mögliche Änderung im Nanometerbereich ist eine Vorhersage äußerst schwierig. Ein Verständnis der Phononenausbreitung in nanostrukturierten Materialien ist aber eine unabdingbare Voraussetzung, um Materialien zu entwickeln, mit denen sich die Wärmeausbreitung kontrollieren lässt. In diesen beiden Bereichen forsche ich unter anderem am Institut in Mainz und danke dem MPI-P daher für die langjährige Gastfreundschaft! Meine oben beschriebenen Arbeiten wurden ebenfalls vom ERC Advanced Grant Smartphon unterstützt.